In der letzten Woche vor den Sommerferien erlebte eine Kooperationsschule von Chancenwerk etwas ganz Besonderes: die allererste Chancenwerk-Projektwoche! Malou Limpach, Schulteamkoordinatorin an der Elisabeth-Selbert-Gesamtschule, berichtet, wie diese spannende Idee entstand und umgesetzt wurde.
Bericht von Malou Limpach

„Eine Projektwoche?!“ – so lautete der Beginn der etwas überraschten, aber immer zugleich bestärkenden Rückmeldungen, die ich von unterschiedlichen Menschen erhielt, an die ich mit dieser Idee herantrat. Und ja: Unsere Chancenwerk-Projektwoche war tatsächlich eine sehr gelungene Premiere.

Doch wie kam es eigentlich dazu? In den vergangenen Wochen war uns in der Lernförderung immer wieder aufgefallen, dass Schüler:innen mit Fragen zu politischen Themen an uns herantraten. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass manche Schüler:innen grundsätzlich sehr an historisch-politischen Themen interessiert und zum Teil auch schon gut informiert waren. Darüber hinaus wurden aber unter anderem im Kontext der Europawahlen bei mehreren Kindern auch Sorgen und Ängste losgetreten – insbesondere vor dem Hintergrund einer Vergleichsebene zwischen nationalsozialistischem Gedankengut und aktuellen politischen Tendenzen. Nachdem immer wieder Schüler:innen mit Fragen oder Unsicherheiten den Austausch gesucht hatten, stand Anfang Juni in einer unserer Nachbesprechungen der Wunsch danach im Raum, diesem Anliegen gerecht zu werden und die Schüler:innen darin zu unterstützen.

Meine spontane Antwort auf diese Konstellation lautete: „Lasst uns dazu eine Projektwoche machen.“ Aufbauend auf der genau so spontanen Offenheit der Lernkoordinator:innen für dieses Vorhaben, gingen wir in die konkretere organisatorische und auch inhaltliche Planung. Mit dem Zuspruch von Frau Gleißner, unserer Ansprechpartnerin der Schule, und Herrn Meyer, dem Schulleiter, sowie mit hilfreichen Tipps zur Umsetzung und inhaltlichen Gewichtung von Şerife Vural-Banik und Philip Kösters aus der Geschäftsleitung von Chancenwerk, stellten wir unser Programm auf die Beine.

Am ersten Projekttag lag der Fokus auf einen Blick in die Vergangenheit. Hier ging es darum, den Schüler:innen Wissen über die NS-Zeit zu vermitteln, damit sie besser verstehen und einordnen können, warum diese Zeit das Sinnbild für Grausamkeit darstellt und bis heute nicht an Relevanz verliert. Darauf aufbauend sollten die Schüler:innen die Bedeutsamkeit des Grundgesetzes kennen lernen: einerseits in dessen Rolle als Antwort auf den Nationalsozialismus und andererseits auch in seiner Funktion als Schutzschild, welches uns davor bewahren soll, dass sich die Geschichte widerholt.

Arbeitsblätter mit Auszügen aus dem Grundgesetz
Die Jugendlichen setzen sich zunächst mit dem Grundgesetz auseinander

„Mir bleibt aus meiner Gruppe vor allem in Erinnerung, als ich mit den Kindern im Kreis saß und gesagt habe, dass jede:r aufstehen soll, die und der sich schon einmal aufgrund der eigenen Sexualität, Herkunft, Religion oder persönlichen Aussehens benachteiligt gefühlt hat, und wie in diesem Moment jedes Kind aufgestanden ist und auch ich selbst. Es hat mich sehr berührt, mit den Schüler:innen darüber zu sprechen, was sie in dieser Hinsicht schon erlebt haben und wie sie sich dabei gefühlt haben und zu sehen, dass jede:r schon mit Ungerechtigkeit zu tun hatte – das ermöglicht es uns, ein noch viel tieferes Verständnis aufzubauen."

Lernkoordination Julia zeigt Schüler:innen Videos von Zeitzeug:innen
Julia (Lernkoordination) zeigt den Schüler:innen Farah und Abena Videos von Zeitzeugen aus der NS-Zeit.

Da bei diesen Themen ein (auch sprach-) sensibles Vorgehen vonnöten ist, hatten wir uns dazu entschieden, die Inhalte in den bestehenden Gruppen zu besprechen. Auf diese Weise konnten die Lernkoordinator:innen die jeweils am besten zu ihren Schüler:innen passenden Methoden auswählen, um einerseits ein Bewusstsein für die Thematik zu schaffen und andererseits aber auch genug Raum für die Reaktionen der Kinder geben zu können. Zusätzlich haben wir uns auch intensiv mit der Frage nach geeigneten Methoden beschäftigt, um zwar durchaus zu emotionalisieren, aber nicht in schädigendem Maße zu schockieren. In der Umsetzung spielten hier uunter anderem Zeitzeugenberichte, Fotos aus KZs oder auch ein Zeitstrahl zu Verortung zentraler Ereignisse eine Rolle.

Es war sehr bewegend und hat mich tief berührt, zu sehen, wie gut die Schüler:innen mit den Lernkoordinator:innen zusammengearbeitet haben, wie interessiert und engagiert sie waren, und wie sie es zugleich geschafft haben, mir zu erzählen, welche Gefühle der Projekttag in ihnen auslöste. Der Moment, der mir persönlich an dem Tag gezeigt hat, wie wichtig es war, dass wir uns Zeit für diese Themen genommen hatten, war als eine Schülerin zu mir sagte: „Wir sprechen heute über Hitler. Es ist sehr interessant, das alles zu lernen, aber es macht mich auch so wütend. Wie kann man denn so böse sein?“

 

Am zweiten Projekttag ging es darum, den Zusammenhang zwischen den historischen und politischen Themen herauszustellen und zu erarbeiten, inwiefern Politik eine Schutzfunktion hat, bzw. warum politische Positionen, welche mit den Inhalten des Grundgesetzes kollidieren, sehr kritisch zu betrachten sind. Neben den Werten des Grundgesetzes stellte die Problematik von Propaganda ein weiteres Bindeglied zwischen beiden Projekttagen dar.

Gemeinsam wurde ein Zeitstrahl mit wichtigen Ereignissen erstellt
Beispiel Zeitstrahl

„Es ist sehr wertvoll für mich, dass ich an unserer Projektwoche teilnehmen durfte, vor allem, weil es meine letzten Tage bei Chancenwerk waren. Die Projektwoche hat einen unabdingbaren Beitrag sowohl für die Schüler:innen, als auch für die Lernkoordinator:innen geleistet. Ich erinnere mich vor allem an die erstaunten Gesichter unserer Schüler:innen, als sie die furchtbaren Fotos aus der NZ-Zeit gesehen haben. Mir wird die Empörung einer Schülerin über die Hitlerjugend für immer in Erinnerung bleiben. Ich habe mich sehr darüber gefreut, zu sehen, dass Schüler:innen sich für solche Themen interessieren und ein Bewusstsein darüber erlangen konnten. Dass sie davon gleichzeitig berührt waren und sich weitere Gedanken gemacht haben, war mein persönlicher Höhepunkt, den ich aus der Projektwoche mitnehme. Nach solch intensiven Gesprächen hofft man noch viel mehr, dass sich die Geschichte niemals wiederholen wird und dass unsere Gesellschaft noch vielfältiger wird.“

Lotta (Lernkoordination) geht auf Fragen der Schüler:innen ein.
Als Einstieg wurde eine Geschichte über eine Schiffsreise zu einem eigenen Land vorgelesen und die Schüler:innen sollten äußern, was ihnen in diesem eigenen Land besonders wichtig wäre. Anschließend konnten sie gruppenübergreifend unterschiedliche Stationen besuchen. Wir hatten uns dafür entschieden, mit den Emotionen, die sich am ersten Projekttag bei den Schüler:innen eingestellt hatten, weiter zu arbeiten und entsprechend auch Raum für ihre persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung, Ausgrenzung oder Mobbing zu geben. Aus diesem Grund gab es eine Station, an der sie ebendiese Erlebnisse besprechen konnten und auch auf Hilfsangebote aufmerksam gemacht wurden.
Bei einer nächsten Station lag der Schwerpunkt auf der Frage, wie Algorithmen funktionieren, wo man sich gut zu politischen Themen informieren kann, und warum es wichtig ist, sich eine Meinung zu bilden. Um den Schüler:innen zu zeigen, dass Politik greifbar ist und dass sie mit ihren Anliegen gehört werden, bestand zudem die Möglichkeit, einen Brief an Jessica Rosenthal, die Bonner Vertreterin im Deutschen Bundestag, zu schreiben. Die Briefe haben wir Frau Rosenthal auch wirklich zukommen lassen. Der schönste Moment in Bezug auf diesen zweiten Projekttag war für mich persönlich die Nachricht eines Schülers, der mir schrieb, dass er eine Antwort von Frau Rosenthal auf seinen Brief erhalten hat und dass er daraus neue Hoffnung schöpfen kann.
Briefe an Jessica Rosenthal
Briefe an Jessica Rosenthal (SPD, Bundestagsabgeordnete für Bonn)

Ich bin dankbar dafür, dass wir die Projektwoche umsetzen konnten und für den Rückhalt, den ich für diese Idee sowohl vonseiten Chancenwerks, als auch vonseiten der Schule bekommen habe. Vor allem bin ich sehr dankbar dafür und stolz darauf, dass ich so ein tolles Team an meiner Seite habe: Es war großartig zu sehen, wieviel Herzblut und Kreativität das Team in diese Idee investiert hat und es war mir eine große Freude, mit den Lernkoordinator:innen zusammen daran arbeiten zu können, etwas bei unseren Schüler:innen zu bewirken.

Team der Elisabeth-Selbert-Gesamtschule (v.l.n.r): Nataliia, Ayoub, Felix, Malou, Lotta, Julia, Lea und Lina (nicht im Bild sind: Anna, Anastasia, Zhoor und Felicitas)

„Die Projektwoche war ein voller Erfolg und hat unseren Schüler:innen gezeigt, wie sie durch Wissen und Engagement die Zukunft positiv beeinflussen können. Besonders beeindruckend war zu sehen, wie engagiert und nachdenklich die Schüler:innen die Themen der NS-Zeit und die aktuelle politische Lage diskutierten. Dank der interaktiven Methoden und der intensiven Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen haben sie ein besseres Verständnis für die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten entwickelt. Abschließend konnte durch die Projektwoche vermittelt werden, wie wichtig es ist, aus der Vergangenheit zu lernen, um die Zukunft aktiv und verantwortungsbewusst zu gestalten.“