Der erste Tag in der Lernförderung Peter-Weiss-Gesamtschule in Unna, Dienstagnachmittag, 14.00 Uhr. Der Schulunterricht ist beendet, aber in zwei Klassenräumen herrscht Hochbetrieb.
Schülerinnen und Schüler der Lernförderung mit pädagogischem Koordinator, Ergün Yalcin (v.m.).

Fast 35 Schülerinnen und Schüler sitzen auf ihren Stühlen, beugen sich über Schulbücher und ihre Schulhefte. Sie tauschen Blicke und diskutieren mit ihrem Banknachbarn. Einige Schülerinnen und Schüler sind damit beschäftigt, für den nächsten Vokabeltest oder die nächste Klassenarbeit zu üben. Andere Kinder bereiten die kommende Unterrichtsstunde vor oder tüfteln gemeinsam an ihren Hausaufgaben: Dreisatz und Bruchrechnung. Eine Schülerin meldet sich, daraufhin eilt ein Schüler eines höheren Jahrgangs zu ihr. Unterstützt werden die jungen Schülerinnen und Schüler von Studierenden verschiedener Universitäten aus der näheren Umgebung sowie von einigen Jugendlichen höherer Stufen. Beliebt sind die gängigen Hauptfächer Mathematik, Englisch und Deutsch. Aber auch Italienisch ist an dieser Schule gefragt.

Jedem Schüler hilft der Förderkurs auf unterschiedliche Art und Weise Zu sehen ist eine heterogene Gruppe aus Kindern und Jugendlichen. Die familiären Wurzeln der Kinder liegen in Belgien, Bosnien, Deutschland, Polen, Russland, der Türkei, Ostasien sowie in Süd- und Osteuropa. Teils sind sie noch sehr schüchtern und zurückhaltend, einige wiederum fühlen sich vom ersten Moment an wohl und gehen bereits auf die anderen Mitschülerinnen und -schüler zu.

Beim Lernen am ersten Tag der Lernförderung.

Jannis besucht die 11. Klasse und ist 16 Jahre alt. Nach der Schule möchte er in den Landwirtschaftsbetrieb seiner Eltern einsteigen. Er hilft an diesem Nachmittag Jasmin und Jamna in Mathematik. „Bist du am Donnerstag wieder da?“ fragt Jamna ihn als die Schulglocke läutet. Das braunhaarige Mädchen erzählt, dass sie die schwierige Aufgabe mit der Hilfe von Janis nun viel besser verstanden habe als vorab im Unterricht.

Alexandra, 16 Jahre alt und Schülerin der 11. Klasse, erhält Nachhilfe in Mathematik von einem Studenten. Sie hat sich im Gegenzug bereit erklärt, den jüngeren Schülerinnen und Schülern in Deutsch und Englisch zu helfen: „Wir können uns besser in die Kinder hineinversetzen als die Lehrer. Wir sind in derselben Schulsituation und kennen zum Beispiel den Druck, der in der Schule manchmal entstehen kann.“ Alexandra überlegt außerdem einmal Lehrerin zu werden und kann so schon ein bisschen üben.

Schüler konzentrieren sich auf ihre Aufgaben.

Alexander, 16 Jahre alt, derzeit Schüler der 10. Klasse, verspricht sich von beidem zu profitieren, von der eigenen Nachhilfe, aber auch davon, sein Wissen weiterzugeben: „Mit den jüngeren kann ich noch einmal die Grundlagen wiederholen und mein Wissen festigen. Mit dem Studenten habe ich allgemein einen guten Ansprechpartner für all meine Fragen, auch außerhalb der Nachhilfe.“ Schüler Lucas hilft wiederum ehrenamtlich. Er findet die Idee hinter Chancenwerk e.V. sei „einfach eine gute Sache.“

Wie das Lernmodell funktioniert Der Grundgedanke hinter Chancenwerk e.V. nennt sich Lernkaskade. Seit Anfang Februar können Schülerinnen und Schüler der Peter-Weiss-Schule an dieser teilnehmen und sowohl Lernhilfe geben als auch Lernförderung erhalten – sehr günstig oder sogar kostenlos. Studierende unterrichten ältere Schülerinnen und Schüler, die wiederum den jüngeren Kindern der Schule beim Lernen helfen. Die Jugendlichen „bezahlen“, indem sie ihr Wissen und ihre Zeit weitergeben. Zur Vorbereitung auf ihre Rolle als Lerntutorinnen und Lerntutoren werden die Jugendlichen der oberen Stufen in mehreren Workshops geschult. Beim Unterrichten der Jüngeren werden sie von Studierenden begleitet. „Wir sind froh über die Lernförderung an unserer Schule. Durch Chancenwerk haben wir zusätzliche Möglichkeiten, die Kinder individuell zu fördern und es passt prima in unser Konzept der Lernzeiten im Ganztag“, so Bernd Pieper, Didaktischer Leiter an der Peter-Weiss-Gesamtschule. „Darüber hinaus können wir auch die Schülerinnen und Schüler ansprechen, die aus keinem bildungsnahen Umfeld stammen. Oft haben diese Eltern weniger Möglichkeiten, die Probleme ihrer Kinder in der Schule aufzufangen.“ Betreuungsstart an der Peter-Weiss-Gesamtschule Ergün Yalcin ist bei vielen Schülerinnen und Schülern an den Schulen der Umgebung bereits bekannt wie ein bunter Hund. Er ist Pädagogischer Koordinator bei Chancenwerk e.V. Zum Betreuungsstart an der Peter-Weiss-Gesamtschule richtet er als Erster seine Worte an die Schülerinnen und Schüler: „Wir sind hier um euch zu helfen. Ihr solltet die Lernförderung aber auch ernst nehmen, damit ihr weiterkommen könnt“, so der Chancenwerk-Mitarbeiter. Das Gemurmel verstummt sofort. Zuständige Schulkoordinatorin an der Schule ist Melina Albuschies. Die junge Studentin hat bereits selbst zu Schulzeiten Nachhilfe durch Chancenwerk e.V. erhalten und als Gegenleistung die jüngeren Schülerinnen und Schüler als Lerntutorin bei ihren schulischen Herausforderungen unterstützt. Melina freut sich auf ihre Aufgabe an der Peter-Weiss-Gesamtschule: „Ich bin sehr gespannt, wie wir das gemeinsam schaffen.“ Danach stellt sie die Lerntagebücher vor, die Chancenwerk e.V. eigens für die Lernförderung entwickelt hat. Darin können die Kinder eintragen, wie sie sich am Tag der Nachhilfe fühlen, welche Hausaufgaben sie vorbereiten müssen und welche Klassenarbeiten anstehen. Am Ende der Vorstellung ergreift Ergün Yalcin erneut das Wort. Nun stellt er die entscheidende Frage, bei der auch das ruhigste Kind in den Reihen auftaut. Er berichtet den Schülerinnen und Schülern davon, dass neben der Lernförderung außerschulische Ausflüge geplant sind und befragt sie nach ihren Wünschen: „Heidepark“, „Phantasialand“, „Superfly“, „Europapark“, tönt es sofort durch den Raum. Peter-Weiss-Gesamtschule in Unna, Dienstagnachmittag, 15.30 Uhr. Nach anderthalb Stunden neigt sich die Lernförderung ihrem Ende. Viele sind so vertieft, dass sie die Zeit vergessen haben und überrascht aufschauen als Melina Albuschies verkündet, dass die Schülerinnen und Schüler nun langsam ihre Sachen zusammenpacken können. Zufrieden mit dieser neuen Erfahrung verlassen die Kinder und Jugendlichen fünf Minuten später die Schule. Schon am Donnerstag können sie da weitermachen, womit sie am Dienstag aufgehört haben.

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